Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung

1. Nachhaltigkeit im Einzelhandel

„Inno-BBNE im Einzelhandel“ - gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Kurzbeschreibung:

Ausgangssituation und Ziele:

Studien zeigen, dass Verbraucher das Fehlen entscheidungsrelevanter Informationen oder eine mangelhafte Aufbereitung von Informationen bezüglich der Nachhaltigkeit der sie interessierenden Produktannahmen (z.B. Wissen, wo faire Produkte erhältlich sind, was Gütekriterien bedeuten) bemängeln. Verbraucher sehen diese Information als 'Bringschuld' der Unternehmen.
Daher liegt der Fokus dieses Projektes auf dem sogenannten "Point of Sale". Ziel ist es, durch die gemeinsame Konzeption, Entwicklung und Erprobung ein innovatives technologiebasiertes Lern- und Arbeitstool für Multiplikatoren und Ausbildungspersonal zu entwickeln. Gleichzeitig werden didaktische Ansätze erarbeitet, mit deren Hilfe die Kompetenz der Auszubildenden zur Gestaltung nachhaltiger beruflicher Handlungssituationen im Einzelhandel gefördert und unterstützt werden kann.

Vorgehen:

Ausgangspunkt sind sowohl Wissenskomponenten, berufliche Handlungen und Einstellungen zum nachhaltigen beruflichen Handeln als auch deren innovative selbstgesteuerte Umsetzung.

Ziel ist es, im Rahmen des Inno-BBNE-Projekts Facetten einer nachhaltigen Gestaltungskompetenz im Einzelhandel zu identifizieren und zu vermitteln (Ritter von Marx, Kreuzer, Weber & Bley, 2020). Hierzu wird unter Nutzung mobiler Endgeräte eine App-basierte Lernumgebung mit drei Komponenten entwickelt: (1) eine Lern-App zum Aufbau einer nachhaltigen Gestaltungskompetenz, (2) ein Serious Game zur Beobachtung und als Assessment kompetenten nachhaltigen Handelns in simulierten authentischen Situationen und (3) ein Lerntagebuch zum Monitoring tatsächlichen kompetenten nachhaltigen Handelns in realen Situationen im Alltag (vgl. Kreuzer, Ritter von Marx, Bley, Reh & Weber, 2017; Abb. 1). Zur Unterstützung der Ausbilderinnen und Ausbilder sind didaktische Handreichungen in Open-Access-Form publiziert worden (Weber, Bley, Hackenberg, Kreuzer, Off, Ritter von Marx, Schumann, Wesseloh, Meyer von Wolff & Achtenhagen, 2019).
Diese Lernziele und Inhalte zur Entwicklung einer 'nachhaltigen Gestaltungskompetenz' werden in einem Pool von authentischen Episoden umgesetzt, die typische nachhaltige Einzelhandelssituationen abbilden und entsprechende Lernaufgaben enthalten. Die Umsetzung erfolgt über eine App-basierte Lern- und Assessmentumgebung. Hiermit wird es den Multiplikatoren möglich, Auszubildende gezielt auf den "Point of Sale" vorzubereiten. Gleichzeitig werden den Auszubildenden Informationen auch während ihres realen innovativen nachhaltigen Handelns am Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt. Zudem bietet die Technologie den Multiplikatoren die Möglichkeit, gezielt Reflexionen und Prozesse des formativen Assessments anzustoßen sowie Lernergebnisse zu dokumentieren.

Ergebnisse:

Als Ergebnis liegt ein App-basiertes Lern- und Arbeitstool mit Episoden zur Förderung eines innovativen nachhaltigen Handelns im Einzelhandel vor (insbes. mit dem Fokus auf den "Point of Sale"). Darüber hinaus wurde ein Weiterbildungsmodul für Multiplikatoren zur eigenständigen Konstruktion derartiger Episoden erstellt. Dieses enthält didaktische Hinweise zum Umgang mit der Lernplattform sowie Hinweise, wie Multiplikatoren Auszubildende anregen und unterstützen können, selbstorganisiert kreative, nachhaltige Verkaufsgespräche am Arbeitsplatz durchzuführen. Zusammen mit den dokumentierten Lern- und Erfahrungsberichten der Multiplikatoren und Auszubildenden ist ein Ausbau der Lernplattform sowie ein Transfer in andere Aus- und Weiterbildungsprogramme möglich.

Ausgewählte Veröffentlichungen:

• Weber, S., Schumann, M., Achtenhagen, F., Bley, S., Hackenberg, T., Kreuzer, C., Meyer von Wolff, R., Off, M., Ritter von Marx, S., & Wesseloh, H. (2021). Entwicklung einer App-basierten Lernumgebung zur Vermittlung einer nachhaltigen Gestaltungskompetenz im Einzelhandel. In C. Melzig, W. Kuhlmeier & S. Kretschmer (Hrsg.), Berufsbildung für Nachhaltige Entwicklung – Die Modellversuche 2015-2019 auf dem Weg vom Projekt zur Struktur (S. 37-61). Bonn: BiBB.

• Weber, S., Schumann, M. & Kreuzer, C. (2020). Modellierung und Messung nachhaltiger Gestaltungskompetenz im Einzelhandel. In Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) (Hrsg.), Datenreport zum Berufsbildungsbericht, Kap. C2.2.3 (S. 394-397). Bonn: Budrich.

• Ritter von Marx, S., Kreuzer, C., Weber, S. & Bley, S. (2020). Nachhaltige Gestaltungskompetenz im Einzelhandel. Ein konnektivitäts-orientierter Ansatz zur Spezifikation eines Kompetenzmodells. In C. Aprea, V. Sappa & R. Tenberg (Hrsg.), Konnektivität und lernortintegrierte Kompetenzentwicklung in der beruflichen Bildung / Connectivity and integrative competence development in vocational and professional education and training (VET/PET). Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 29 (S. 83-112). Stuttgart: Steiner.

• Weber, S., Schumann, M., & Kreuzer, C. (2020). Modellierung und Messung nachhaltiger Gestaltungskompetenz im Einzelhandel. In Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) (Hrsg.), Datenreport zum Berufsbildungsbericht (S. 394-397). Opladen: Budrich.

• Weber, S., Bley, S., Hackenberg, T., Kreuzer, C., Off, M., Ritter von Marx, S., Schumann, M., Wesseloh, H., Meyer von Wolff, R., & Achtenhagen, F. (2019). Didaktische Anregungen für Ausbilderinnen und Ausbilder im Einzelhandel. Bielefeld: W. Bertelsmann. E-Book (DOI: 10.3278/6004744W) Kostenloser Download: http://www.wbv.de/artikel/6004744w

• Kreuzer, C., Ritter von Marx, S., Bley, S., Reh, S., & Weber, S. (2017). Praxisorientierte Gestaltung einer App-basierten Lern- und Assessmentumgebung für nachhaltiges Wirtschaften im Einzelhandel. bwp@online, 33, S. 1–26.

Kontakt:

Prof. Dr. Susanne Weber
Mona Off, M.Sc.
Tobias Hackenberg, MBR
Institut für Wirtschaftspädagogik
Munich School of Management
Ludwig-Maximilians-Universität München

2. Nachhaltigkeit als Gestaltungsaufgabe in der beruflichen Bildung

Auf der abstrakten Ebene scheint „Nachhaltigkeit“ trotz vielfältiger Kontroversen und Vorbehalte einen breiten Konsens in der nationalen und internationalen Gesellschaft gefunden zu haben, was u. a. in der Formulierung der sogenannten 17 Sustainable Development Goals der UNESCO (2015) (17 SDGs) und des Weltaktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zum Ausdruck kommt. BNE im Sinne der KMK-Empfehlung zur Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Schule versteht sich als zentrale Bildungsaufgabe, die Menschen befähigen soll, angesichts globaler Herausforderungen wie Klimakrise, sozialer Ungleichheit oder wirtschaftlicher Unsicherheiten zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen und aktiv an Gestaltungsprozessen für eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft (pro-)aktiv mitzuwirken. Ziel ist es, Kompetenzen zu fördern, die zur Lösung komplexer Probleme beitragen – trotz Unsicherheiten, Widersprüchen und Zielkonflikten (KMK, 2024).

Am Lernort Berufliche Schule eröffnen sich Lerngelegenheiten zur Förderung der Reflexion der eigenen Rolle in der Welt, zum Erkennen von Handlungsspielräumen sowie zur Fähigkeit, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen. Dabei verbindet BNE top-down organisierte Maßnahmen mit bottom-up-Initiativen der Schulen vor Ort mit dem Ziel, Wissen, Motivation und Haltungen für nachhaltiges Handeln zu fördern (KMK, 2024).

BNE sollte dabei integrativer Bestandteil des Unterrichts sein und ist mit geltenden Lehrplänen vereinbar. Gleichzeitig gelten die Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses, etwa die Kontroversität und das Verbot der Überwältigung. Ebenso berücksichtigt BNE die Vielfalt der Lernenden und deren unterschiedliche Zugänge und Wertvorstellungen. BNE basiert auf demokratischen Grundwerten und versteht sich als inklusives, emanzipatorisches Bildungskonzept. Es geht über reine Wissensvermittlung hinaus, indem es Diskurse über Lebensstile, Wirtschaftssysteme und gesellschaftliche Entwicklungen anregt, ohne jedoch konkrete Handlungsweisen vorzuschreiben. Es bestehen enge Verbindungen zu weiteren Bildungsaufgaben wie politischer Bildung, interkulturellem Lernen oder Verbraucherbildung (KMK, 2024).

Besondere Bedeutung kommt dabei dem sogenannten „Whole School Approach“ (WSA) zu, der BNE als Aufgabe der gesamten Schule versteht. Dabei werden Unterricht, Schulalltag, Gebäude, Personalentwicklung und außerschulische Kooperationen ganzheitlich auf Nachhaltigkeit hin ausgerichtet. Eine nachhaltige Schulentwicklung umfasst außerdem partizipative Lernformate, systemisches Denken, fachübergreifendes Lernen und die Einbindung gesellschaftlicher Herausforderungen (KMK, 2024).

Ziel dieses Projektes soll es daher sein,

  • derzeitige BNE-Aktivitäten im „Whole School Approach“ (WSA) zu verorten und Weitentwicklungsmöglichkeiten auszuloten.
  • Gleichzeitig sollen zu ausgewählten Bereichen des WSA BNE-Aktivitäten unter einer fach- und fachübergreifenden didaktischen Perspektive entwickelt, exploriert, erprobt und evaluiert werden.

Literatur:

Holst, J. (2023). Towards coherence on sustainability in education: a systematic review of Whole Institution Approaches. Sustainability Science (18), 1015–1030. Link

KMK (2024). Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Schule (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 13.06.2024). Online: 01.04.2025 Link

Ansprechpartner:

StRin Lisa Bartel

Prof. Dr. Susanne Weber

Weitere Projekte zur Nachhaltigkeit in der kaufmännischen Berufsbildung:

• Weber, S., & Achtenhagen, F. (2024). „Circular Economy“ – Eine neue Herausforderung für die kaufmännische berufliche Bildung? In C. Michaelis, R. Busse, E. Wuttke & B. Fürstenau (Hrsg.), Herausforderungen und Gestaltungsfragen für die berufliche Bildung. Digitale Festschrift für Susan Seeber zum 60. Geburtstag. bwp@profil 10, 1-29. Online: https://www.bwpat.de/profil10_seeber/weber_achtenhagen_profil10.pdf

• Weber, S., & Achtenhagen, F. (2023). Behaviorismus, Kognitivismus, Konstruktivismus, Konnektivismus UND Hybrider Expansivismus – Ein Szenario zur Nachhaltigkeit im Lebensmittelbereich. In M. Hommel, C. Aprea & K. Heinrichs (Hrsg.), bwp@ Profil 8: Netzwerke – Strukturen von Wissen, Akteuren und Prozessen in der beruflichen Bildung. Digitale Festschrift für Bärbel Fürstenau zum 60. Geburtstag (1-26). Online: https://www.bwpat.de/profil8_fuerstenau/weber_achtenhagen_profil8.pdf

• Zarnow, S., Birk, C., Hackenberg, T., Hiller, F., Off, M., & Weber, S. (2022). Exploring backgrounds of sustainable consumption behavior among young adults and ideas for overcoming possible barriers. Conference Poster presented at the AERA Annual Meeting , San Diego, USA.

• Weber, S., Off, M., Kreuzer, C., & Bley, S. (2022). „What a feeling“ – Emotionale Ansprache von Auszubildenden zur Förderung nachhaltigen Konsumverhaltens. In C. Michaelis & F. Berding (Hrsg.), Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (S. 261-282). Bielefeld: wbv.

• Weber, S., Off, M., Hackenberg, T., Schumann, M., & Achtenhagen, F. (2021). Serious games as assessment tool. Visualizing sustainable creative competence in the field of retail. In C. Aprea & D. Ifenthaler (Eds.), Game-based learning across the disciplines (pp. 109-140). Cham: Springer.

• Kreuzer, C., Weber, S., Off, M., Hackenberg, T., & Birk, C. (2019). Shedding Light on Realized Sustainable Consumption Behaviour and Perceived Barriers of Young Adults for Creating Stimulating Teaching–Learning Situations. Sustainability 11(9), 2587.